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»Es ist eine Infektion,
die aber nicht das Leben
bestimmen muss«

natürlich HAMM WINTER 2023 – Seite 22

Rubrik: Aus Praxis & Region

Autor: Lukas Rummeny

Seit 38 Jahren sorgt die AIDSHilfe Hamm e. V. für Aufklärung und Unterstützung

Vom Humanen Immundefizienz-Virus, kurz HIV, haben die meisten Menschen schon einmal gehört. In der Gesellschaft kursieren aber immer noch viele Gerüchte und Unwahrheiten, was die Infektion, die Krankheit und diejenigen angeht, die sich mit dem Virus infiziert haben. Die richtige Aufklärung über die Infektion sowie Hilfe für HIV-Positive in der Region bietet die Aidshilfe Hamm e. V. Leiterin Lianet Flores und Mitarbeiter Martin Naechster reden über die Arbeit des gemeinnützigen Vereins, Vorurteile und Veranstaltungen der Aidshilfe. 

Seit wann gibt es die Aidshilfe Hamm?

Die Aidshilfe Hamm gibt es seit 1985. Damit sind wir eine der ältesten Aidshilfen in Nordrhein-Westfalen. Derzeit sind wir vier hauptamtliche Mitarbeitende, drei pädagogische Fachkräfte und eine Verwaltungsfachkraft. Ergänzt wird das Team durch einen ehrenamtlichen Vorstand und weitere Ehrenamtliche. 

„HIV ist im Alltag nicht übertragbar und bei erfolgreicher Medikamenteneinnahme auch in allen anderen Lebenslagen nicht“

Welchen Aufgabenbereich deckt der Verein ab?

Von der Aufklärung über das Durchführen von Tests bis zur Beratung und Begleitung. In der Aufklärung ist es uns wichtig, dass HIV und Aids als wichtige Themen weiterhin wahrgenommen werden. Es gibt noch sehr viele Vorurteile, durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten, die nicht der Wahrheit entsprechen. Es gibt z. B. Ärzte, die keine HIV-positiven Patienten annehmen oder nur an den Randzeiten der Sprechstunden empfangen, weil sie Sorge haben, sich ansonsten anzustecken. Das stimmt aber ganz und gar nicht, denn HIV ist im Alltag nicht übertragbar und bei erfolgreicher Medikamenteneinnahme auch in allen anderen Lebenslagen nicht. Ebenso gibt es Ärzte, mit denen wir zusammenarbeiten und bei denen sich die Menschen, die wir begleiten, gut aufgehoben fühlen. Etwa in der Immunschwäche-Ambulanz der St.-Barbara-Klinik. Ebenso klären wir auch zur Prävention auf, wobei wir nicht nur zu HIV und möglichen Folgen informieren, sondern auch zu Geschlechtskrankheiten, die in der Bevölkerung immer noch wenig bekannt sind.

Wir beraten sowohl HIV-positive Personen als auch die Allgemeinbevölkerung rund um Themen der sexuellen Gesundheit. Bei HIV-Positiven müssen wir häufig auch Aufklärungsarbeit leisten, weil einige fälschlicherweise glauben, dass sie die Infektion durch das eigene Verhalten selbst zu verantworten haben. Zu unserem Angebot gehört auch eine Selbsthilfegruppe, die sich monatlich trifft. Hier kommen HIV-positive Menschen zusammen, tauschen sich über infektionsspezifische Themen aus, aber auch darüber hinaus. Es ist für viele eine Infektion, die nicht das Leben bestimmen muss. Es gibt aber auch HIV-relevante Themen, wenn beispielsweise jemand nach einem Facharzt fragt, der nicht stigmatisiert. 

„Wir bieten anonyme Tests zu HIV, Syphilis und Hepatitis C an“

Ihr Verein bietet auch HIV-Tests an. Wie laufen diese ab und kann die Leistung jeder in Anspruch nehmen?

Grundsätzlich kann sich jeder bei uns testen lassen. Wir bieten anonyme Tests zu HIV, Syphilis und Hepatitis C an. Da die Tests aber auch für uns, als gemeinnützigen Verein, mit Kosten verbunden sind, erhalten Menschen mit tatsächlichem Risikokontakt den Vorzug. Bei den angebotenen Tests handelt es sich um Antikörper-Schnelltest, die innerhalb von 10 Minuten ein Ergebnis liefern. Dafür ist die Entnahme von wenigen Blutstropfen aus der Fingerkuppe nötig. 

Das Einhalten des diagnostischen Fensters bedeutet, dass ein Test bei uns erst 12 Wochen nach dem Risikokontakt stattfindet; was genau ein Risikokontakt ist, klären wir im Beratungsgespräch. Für viele Menschen ist das eine lange Zeitspanne, weil sie Angst haben, sich infiziert zu haben. Aber erst dann kann der Test mit 99-prozentiger Sicherheit eine Ansteckung ausschließen. 

Gesundheitsamt und Arztpraxen bieten einen Antigen-Antikörper-Test auf HIV schon nach 6 Wochen an und können auch auf andere Geschlechtskrankheiten testen. Bei Arztpraxen sollte man sich vorab informieren, ob die Krankenkasse die Kosten übernimmt.

Sie gehen auch in Schulen der Region und machen dort Aufklärungsarbeit. Wie sieht die aus?

Die Präventionsarbeit an Schulen und Orten für Jugendliche machen einen großen Teil unserer Aufgaben aus. Wir kooperieren dabei mit vielen Hammer Schulen. Hauptsächlich arbeiten wir mit Workshops, einmal zum Thema HIV und Sexualität und einmal zu sexueller Orientierung.

Wir gehen aber auch vermehrt in Berufsschulen, spezifisch bei medizinischen und sozialen Berufen, da es uns wichtig ist, dort eine entsprechende Aufklärung zu leisten, Kenntnisse zu vermitteln und Diskriminierung vorzubeugen. Zudem bieten wir Workshops in betreuten Wohnanlagen an oder in LWL-Kliniken. Auf Landes- und Bundesebene arbeiten wir mit zahlreichen Projekten und Netzwerken zusammen, um uns auszutauschen und weiterzubilden.

Können Sie uns ein Beispiel für ein solches Projekt nennen?

Es gibt z. B. die Arbeitsgruppe „XXelle“, die sich mit dem Thema Frauen und HIV beschäftigt und landesweit agiert. Da geht es um frauenspezifische Themen, wie zum Beispiel Aufklärung und Prävention zu HIV, aber auch um die Sichtbarkeit HIV-positiver Frauen. Es soll gezeigt werden, dass es auch HIV-positive Frauen gibt, weil die Infektion in vielen Köpfen immer noch mehrheitlich mit schwulen Männern in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus gibt es noch weitere Zielgruppenprojekte in NRW, wie „Herzenslust“ für Männer, die Sex mit Männern haben, oder „Missa NRW“ für Menschen aus Subsahara-Afrika.

Am 1. Dezember war wieder Welt-Aids-Tag. Welchen Aktionen und Fragen sind Sie in diesem Jahr nachgegangen?

Es gibt einige Aktionen, die wir jedes Jahr durchführen, um auf die Infektion aufmerksam zu machen. Dazu gehört eine Fahne mit der berühmten roten Schleife, die wir jedes Jahr vor dem Rathaus hissen. Dazu gibt es eine Kundgebung, bei der auch der Oberbürgermeister mitmacht. Das ist eine öffentliche Veranstaltung, wo alle hinkommen dürfen. Am darauffolgenden Samstag gibt es immer unsere Spendenaktion in der Hammer Innenstadt, die auch bereits Tradition ist.

Am 23. November fand bereits eine Veranstaltung der Arbeitsgruppe „XXelle“ statt, in der eine HIV-Fachärztin über die Möglichkeiten der Vorsorge bei Frauen geredet, aber auch Fragen beantwortet hat wie „Wo erhalte ich diese Untersuchungen?“ oder „Wie kann ich diese Untersuchungen selbstbewusst einfordern?“. Es ist immer noch so, dass Gynäkologen bevorzugt die Themen Schwangerschaft, Schwangerschaftsverhütung und Krebs im Fokus haben und HIV oft zu kurz kommt. Gleiches gilt für sonstige Geschlechtskrankheiten. Häufig ist es so, dass Frauen Spätdiagnosen erhalten, deren Verlauf weitaus milder hätte sein können oder deren medizinische Folgen vielleicht hätten vermieden werden können, wenn sie auch über Schwangerschaft und Krebsvorsorge hinaus ausreichend beraten worden wären. 

Vielen Dank für das Interview!

Heike Schieler, Lianet Flores, Martin Naechster und
Martin Enders bilden den Kern der AIDS-Hilfe Hamm