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»Musik verbindet sowohl Nationen als auch Generationen«

natürlich HAMM Winter 2022 – Seite 9

Rubrik: Titelthemen

Autorin: Lukas Rummeny

Musik ist für eine gesunde Entwicklung wichtig. Was beim Lesen die Kinderbücher sind, die einen zur „Leseratte“ werden lassen, so sind es in der Musik die Kinderlieder, die am Anfang dieser Beziehung stehen. Wie entscheidend der Faktor Musik für die Entwicklung eines Menschen ist, weiß der Kinderliedermacher Reinhard Horn. Mit uns sprach er über das Musizieren, Singen, Hören und über sein aktuelles Projekt.

Herr Horn, es gibt keine Kunstform, die so viele Menschen berührt, wie Musik. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Da bediene ich mich gerne eines Zitats des großen israelischen Geigers Yehudi Menuhin, der gesagt hat: „Musik ist die allererste Muttersprache von uns Menschen“. Musik, Tanz und Bewegung verbindet uns Menschen. Es ist in unsere DNA geschrieben. Das sieht man gut an kleinen Kindern, die – bevor sie sprechen können – die Sprachmelodie der Mutter, des Vaters oder der Großeltern nachmachen. Das sind diese typischen „Lalala“- oder „Bababa“-Laute. Diese Welt wird musikalisch von den Kindern begrüßt.

Wenn viele an den Musikunterricht ihrer Kindheit denken, fallen ihnen lustlose Stunden mit Blockflöte und Glockenspiel ein. Wieso ist es aber für die Entwicklung eines Menschen wichtig, bereits früh mit dem Musizieren zu beginnen?

In den letzten Jahren sind viele erstaunliche Studien aus den Bereichen der Neurologie oder der Gehirnforschung veröffentlicht worden, die belegen wie nachhaltig das „Musik machen” Kinder in ihrer neurologischen Entwicklung unterstützen. Wir brauchen dabei beide Gehirnhälften, weil wir zum Musizieren beide Hände brauchen. Es gibt kaum ein Instrument, das nur mit einer Hand gespielt werden kann. Ein Klavier ist das beste Beispiel, weil die linke und die rechte Hand benötigt werden. Genauso ist es auch bei einer Gitarre: Die eine Hand greift, die andere schlägt die Saiten an. Noch komplexer ist das Schlagzeug, weil da die Füße hinzukommen. Allein die motorischen Fähigkeiten des Gehirns werden durch das Instrumentenspielen schon sehr unterstützt.

Hinzukommt die gesamte emotionale Unterstützung. Musik kann jede Emotion ausdrücken, was für die Entwicklung ein wichtiger Punkt ist. Der dritte Aspekt ist, dass Kinder sich als Subjekt ihres eigenen Tuns erleben, wenn sie singen oder musizieren. In der Psychologie nennt man das die „Selbstwirksamkeit“. Kinder merken: „Ich kann selbst durch mein Handeln etwas bewegen“ und das fördert ihre Selbstständigkeit.

Es sind die weichen Skills, die dadurch gefördert werden – die Teamfähigkeit, die Kooperationsfähigkeit, das Zuhören – das wird natürlich in Chören, Bands usw. besonders gefördert.

Die einfachste Form des Selbst-Musizierens ist das Singen. Sie selbst treten auch viel mit (Kinder-)Chören auf, wie zuletzt bei Ihrem Projekt „Earth-Choir-Kids“. Viele, besonders Erwachsene, scheuen davor zurück, selbst zu singen, weil die meinen, es nicht zu können. Wie können sich Erwachsene das Singen „beibringen“, um etwa an Weihnachten nicht negativ aufzufallen?

Da gibt es zwei Grundsätze. Zunächst kann man Singen nur durch Singen erlernen. Der zweite Grundsatz ist: Durch Singen wird es das Singen nicht schlechter. Die eigene Stimme wird durch häufiges Singen vertrauter und ich traue mich, in die Melodien einzustimmen. Es hilft also nicht, sich irgendwelche Tutorials anzuschauen oder ein Buch zu lesen. Singen kann nur durchs Singen erlernt werden und da sollte man den Mut haben, auch mit anderen gemeinsam zu singen.

Es gibt auch dafür ganz spannende Untersuchungen, besonders aus der Alzheimer- und Demenzforschung. Demenz-Patienten wissen häufig nicht, was sie zu Mittag gegessen haben, aber die Lieder aus ihrer Kindheit können sie noch auswendig mitsingen. Das ist spannend, weil es beweist, wie musikalisch unser Gehirn aufgebaut ist. Das musikalische Gedächtnis bleibt funktionsfähig. zu können. Die Menschen können sich vielleicht nicht erinnern, sprechen oder sich bewegen, aber das Lied scheint ihnen im Gedächtnis zu bleiben.

Mein Credo ist: „Singt mit den Kindern“ – in Schulen, in Kindergärten. Gerade in den letzten Jahren, die hinter uns liegen, ist uns das genommen worden. Es ist strikt darauf geachtet worden, dass nicht gemeinsam gesungen oder musiziert wird. Das hat der Entwicklung vieler Kinder nicht gutgetan. Ich plädiere dafür: Musiziert wieder mit den Kindern! Singt mit ihnen! Besonders jetzt zur Weihnachtszeit. Da kann man alle einbeziehen: die Kinder, die Eltern und die Großeltern können gemeinsam singen. Musik verbindet also nicht nur unterschiedliche Nationen, sondern auch Generationen. Das sehen Sie auch in meinem neuen Klima-Song-Projekt „‘Earth-Choir-Kids‘ – unsere Stimmen fürs Klima“. Das wird von verschiedenen Organisationen unterstützt, wie Brot für die Welt, Greenpeace, der deutsche Chorjugend, der Kindernothilfe und der deutschen Bundesstiftung Umwelt. Es sind 18 Lieder, die wir gemeinsam mit internationalen Musikerinnen und Musikern geschaffen haben: aus Ghana, Kamerun, Argentinien, Chile, von der Südseeinsel Tuvalu und auch ein Schamane aus Grönland war mit dabei. Da bekommt man mit, wie sich der Klimawandel oder vielmehr die Klimakatastrophe auf den verschiedenen Erdteilen bereits ereignet, vom Schmelzen des Eises bis zum steigenden Meeresspiegel in Tuvalu. Man merkt, dass alles miteinander zusammenhängt. Ich glaube, das haben wir in dem Projekt gut hinbekommen. Alle Kinder- und Jugendchöre der Deutschen Chorjugend, das sind knapp 3.000, haben die Lieder kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen und werden in ihren Chorkonzerten von diesen Geschichten erzählen. Das bewegt mich sehr.

Auch wenn die Politik die Bildung gerne als wichtiges Projekt bezeichnet, gibt es an vielen Schulen Einsparungen. Das betrifft auch die Lernpläne. Besonders das Fach Musik muss sich dabei immer wieder verteidigen. Wie verteidigen Sie das Fach Musik mit Blick auf die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung?

Da führe ich gerne den Gehirnforscher Manfred Spitzer ins Feld. Der hat mal gesagt, dass die vier wichtigsten Schulfächer für Kinder Musik, Sport, Kunst und Theater sind. Er nennt eine Reihe von Gründen, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würden. Aber es beweist, dass selbst die Gehirnforschung festgestellt hat, dass Kinder durch Musik, Kunst, Sport und darstellendes Spiel, wie etwa dem Krippenspiel, eine gesunde Entwicklung nehmen, die sich dann auch auf andere Fächer auswirken.

Kinder, die etwa gut in Musik sind, sind meistens auch gut in Sprache, in Mathematik oder bei komplexen Themen. Es ist also kein Entweder-Oder- sondern ein Zusammendenken.

Untersuchungen haben festgestellt, dass die menschliche Gehirnleistung ebenfalls zunimmt, wenn wir intensiv Musik hören. Jetzt ist Musik heute ein Konsumgut geworden, das immer und überall zur Verfügung steht. Verlernen wir dadurch die Fähigkeit, genau hinzuhören oder selbst musikalisch zu werden?

Da uns Musik ständig zur Verfügung steht und – die Streamingdienste sind hier zu vergleichen sind mit einem Radioprogramm ohne Wortbeiträge verkommt die Musik zu einer Geräuschkulisse. Das war früher anders, etwa bei der Schallplatte: Man hat sich hingesetzt, den Tonabnehmerarm auf die Platte gelegt und 20 Minuten gesessen und zugehört. Man hat sich im Plattencover die Texte angeschaut, mitgelesen und intensiv zugehört.

Wenn das geschieht, ist Musikhören auch eine Leistung des Gehirns. Aber wenn es Musik als Geräuschkulisse nebenherläuft, verliert es an Bedeutung. Deswegen bin ich auch immer noch ein großer Fan von alten Vinylaufnahmen: Da man setzt sich hinsetzt, und zuhört, hört man zu, was der Künstler, die Künstlerin oder das Orchester zu erzählen haben.

Haben Sie vielen Dank für das Interview, Herr Horn.

Weitere Informationen zum Projekt „Earth-Choir-Kids“ gibt es im Internet unter www.earth-choir-kids.com