»Konzentration ist sowohl
im Privaten als auch auf der
Arbeit wichtig«
natürlich HAMM Frühling 2023 – Seite 11
Rubrik: Titelthemen
Autorin: Lukas Rummeny
Dr. Volker Kitz über Konzentration, fokussierte Ablenkung und das Leben in einem buddhistischen Kloster
Haben wir eine gute Ausdauer, können wir uns auch besser konzentrieren. Das ist wichtig in einer Welt, in der wir rund um die Uhr mit Informationen befeuert werden und in der wir vielen Rollen gleichzeitig und zur vollsten Zufriedenheit nachkommen müssen. Bei allen diesen Ansprüchen fällt es uns zunehmend schwer, uns zu konzentrieren. Wie wir es schaffen, uns wieder ausdauernd nur einer Aufgabe zu widmen, erklärt uns der Redner und Bestseller-Autor Volker Kitz im Interview. Er ist dem Geheimnis der Konzentration auf den Grund gegangen und zeigt einen Weg, wie auch wir unsere Konzentrationsfähigkeit wieder stärken können.
Herr Kitz, die meisten von uns verbinden Konzentration mit Schule, Lernen und intensiver Fokussierung. Es ist nichts, was nach Spaß klingt. Stimmt es, dass Konzentration nur mit Anstrengung und Langeweile zu tun hat?
Ganz im Gegenteil, Konzentration kann sich wunderbar anfühlen. Im Idealfall erlebt man einen sogenannten „Flow“, bei dem man völlig in einer Tätigkeit aufgeht und alles um sich herum vergisst. Das passiert bei Tätigkeiten, die uns fordern, aber nicht überfordern und bei denen wir regelmäßige Rückmeldungen über den Erfolg bekommen. Oft kommt das bei Programmierern oder Künstlern vor, kann aber bei jeder Tätigkeit auftreten. Je uninteressanter wir etwas finden, je routinierter wir es tun, desto eher lassen wir uns ablenken.
Dabei richtet mangelnde Konzentration im Arbeitsleben große Schäden an. Wir bekommen es meist nur mit, wenn Dinge wie Zugunglücke passieren und die Ursache „menschliches Versagen“ lautet. Den größten Schaden aber richten all die kleinen Fehler an, die täglich geschehen, weil Leute nicht bei der Sache sind. Hier sind wir vielleicht manchmal zu nachsichtig mit den Menschen um uns herum, weil sie es ja „nicht mit Absicht“ gemacht haben.
„Das Smartphone kommt bei der Arbeit aus dem Blickfeld!“
In der heutigen Zeit werden wir jeden Tag mit so vielen Dingen konfrontiert, dass es uns schwerfällt, uns zu konzentrieren. Wie weit können wir uns von diesen Ablenkungen, etwa durch das Smartphone, frei machen?
Bei den Recherchen zu meinem Buch bin ich auf eine schockierende Studie gestoßen. Man hat getestet, wie gut sich eine Gruppe konzentrieren konnte, die ihr Smartphone bei der Arbeit auf dem Schreibtisch liegen hatte. Eine Vergleichsgruppe deponierte es in der Schublade oder im Nebenraum. Lag das Smartphone nur in Sichtweite, störte es die Konzentration, selbst wenn es ausgeschaltet war. Unbewusst beschäftigen wir uns offenbar selbst dann damit, welche Nachrichten gerade eingehen könnten. Für mich lautete die Konsequenz: Das Smartphone kommt bei der Arbeit aus dem Blickfeld! Ich habe den Klingelton wieder auf laut gestellt, und wer aus meinem Umfeld etwas Dringendes hat, ruft an.
In Ihrem Buch „Konzentration. Warum sie so wertvoll ist und wie wir sie bewahren“ schreiben Sie auch über Ihre Zeit in einem buddhistischen Kloster im Himalaya. Dort war u. a. die Nutzung eines Telefons verboten und Sie haben nach einem Schweigegelübde gelebt. Was haben Sie in dieser Zeit über die Konzentration gelernt?
Ich habe gelernt, dass wir unsere Gedanken nicht kontrollieren können. Im Gegenteil: Wollen wir an etwas nicht denken, ist es umso präsenter. Die Wissenschaft hat aber Abhilfe gefunden, die sogenannte „fokussierte Ablenkung“. Dabei lege ich mir im Kopf ein Bild zurecht, zum Beispiel ein rotes Auto. Kommt der Impuls, gerade jetzt aufs Smartphone zu schauen, gerade jetzt aufzustehen und einen Kaffee zu holen, dann stelle ich mir schnell das rote Auto vor. Das funktioniert. Es ist eine Ablenkung von der Ablenkung.
„Wir brauchen die Konzentration zum Leben“
Lassen sich denn auch in unserer vermeintlich hektischen Welt Phasen schaffen, in denen wir uns der Konzentration widmen können?
Studien haben gezeigt, es wirkt Wunder, an seinen Arbeitsplatz ein oder zwei Stunden am Tag ein Schild „Bitte nicht stören“ zu hängen. Aber Alleinsein hilft nicht immer. Zwar können wir uns auf komplizierte Aufgaben besser konzentrieren, wenn niemand in der Nähe ist, Routineaufgaben aber erledigen wir leichter, wenn andere im Raum sind. Wer das weiß und die Möglichkeit hat, zwischen Homeoffice und Großraumbüro zu wählen, kann seine Entscheidung an der Tätigkeit ausrichten.
Grundsätzlich sollte Konzentration aber nicht auf bestimmte Zeitabschnitte verschoben werden. Wir brauchen die Konzentration zum Leben. Experimente zeigen, dass wir keinen Speicher für eine Momentaufnahme haben. Wir gehen nicht wie eine Videokamera durch die Welt, die alles aufzeichnet. Wir bekommen nur mit, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Alles andere ist für immer verloren. Mangelnde Konzentration sorgt also nicht nur für Fehler bei der Arbeit, sondern stört auch das Privatleben. Wenn die Partnerin oder der Partner öfter Dinge sagt wie „Das habe ich dir doch gestern erzählt“ oder „Hörst du mir überhaupt zu?“, dann kann das ein Zeichen sein, dass etwas mehr Konzentration der Beziehung guttun würde. Ich zitiere in meinem Buch auch eine Sexualtherapeutin, die berichtet, dass viele Patienten keinen Sex mehr haben können, weil die Gedanken ständig woanders sind. Dabei denken wir, laut anderen Studien, alle paar Minuten an Sex. Zugespitzt lässt sich sagen: Wir denken den ganzen Tag an Sex, nur wenn wir ihn haben, denken wir an etwas anderes. Das ist tragisch. Es lohnt sich daher, gerade auch im hektischen Alltag, zu trainieren, auf seine Gedanken zu achten.
„Digitale und analoge Medien können wir nicht gegeneinander ausspielen“
Es ist generell ein beliebtes Vorgehen, die Ursache für die eigenen Probleme bei anderen Menschen oder Dingen zu suchen als bei sich selbst. Wie ist das bei der Konzentration? Wann sind wir bei diesem Thema selbst die Quelle unseres eigenen Übels?
Jeder kann mit einfachen Dingen seine Konzentration steigern. Mit der richtigen Menge an Schlaf zum Beispiel. Wer dauerhaft viel weniger als sieben Stunden schläft, schadet seiner Konzentration, aber auch, wer dauerhaft viel mehr als acht Stunden schläft. Ähnliches gilt für das Trinken. Der Urin sollte champagnerfarben sein, dann hat man genug getrunken für optimale Konzentration. Ändert sich die Farbe in Richtung Orangensaft, macht man sich die Konzentration schon unnötig schwer. Zucker ist nicht gut für die Konzentration, auch nicht kurzfristig. Er lässt uns in ein Loch fallen. Allerdings gab es ein interessantes Experiment: Wenn Leute den Mund mit zuckerhaltigen Getränken nur ausspülten, konnten sie sich besser konzentrieren. Der bloße Geschmack half offenbar, ohne dass der Zucker seine nachteilige Wirkung entfaltete, denn er kam nicht in den Blutkreislauf.
Jeder kann auch versuchen, mit Medien bewusst umzugehen. Digitale und analoge Medien können wir nicht gegeneinander ausspielen. Beide trainieren unterschiedliche Fähigkeiten: Das Smartphone eher die Fähigkeit zur Suche, Navigation, Personalisierung. Ein gedrucktes Buch trainiert eher die Fähigkeit zur Konzentration. Wichtig ist, beides zu nutzen.
In Ihren Vorträgen reden Sie u. a. auch über Strategien, wie wir unsere Konzentration bewahren können. In Experimenten zeigen Sie den hohen Wert, den Konzentration hat. Können Sie uns so ein Experiment erläutern?
Ich finde mit meinem Publikum zum Beispiel heraus, was der optimale Sound für die Konzentration ist. Ich stelle eine Rechenaufgabe, und das Publikum löst sie unter verschiedenen Bedingungen. Einmal in Ruhe, einmal spreche ich im Hintergrund, und einmal lasse ich ein bestimmtes Musikstück von Mozart laufen. Die Ergebnisse sind ganz unterschiedlich. Studien zeigen nämlich, dass sich jeder bei dem Hintergrundgeräusch am besten konzentriert, das er mag. In einem anderen Experiment teste ich mit meinem Publikum, wie gut wir das Multitasking beherrschen, das bei der Arbeit heute alle von uns erwarten. Wir sollen alle Bälle gleichzeitig in der Luft halten. Doch das Ergebnis ist desaströs. Meist ändern die Unternehmen ihre Abläufe, nachdem ich dort einen Vortrag gehalten habe.
Vielen Dank für das Interview, Herr Kitz!