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»Selbstbehauptung geht nur über Selbstliebe«

natürlich HAMM Sommer 2023 – Seite 4

Rubrik: Titelthemen

Autorin: Lukas Rummeny

Coach Daniel Duddek im Interview

„Wie mache ich Kinder stark?“ Diese und ähnliche Fragen stellen sich Eltern, Betreuer sowie Lehrerinnen und Lehrer häufig. Ihnen, aber auch den Kindern, hilft der Coach und Erzieher Daniel Duddek. Im Interview mit natürlichHamm erzählt er, wie Kinder selbstbewusst und stark gegen Mobbing gemacht werden können. Er gibt zudem viele hilfreiche Hinweise, die auch im Alltag umgesetzt werden können.

Herr Duddek, wenn der Begriff „Selbstbehauptung“ fällt, denken viele an Selbstverteidigung. Inwiefern ist dieser Gedankengang richtig und wo gibt es Abgrenzungen?

Selbstbehauptung ist nicht gleich Selbstverteidigung, hier sollte klar differenziert werden. Selbstbehauptung ist das verbale und nonverbale Setzen von Grenzen. Selbstverteidigung wiederum ist der Moment, in dem ich mich körperlich zur Wehr setze. Da hier ein deutlicher Unterschied in der Herangehensweise an bestimmte Themen besteht, werden im Kontext „Selbstverteidigung“ ganz andere Dinge geschult als im Kontext „Selbstbehauptung“.

Selbstbehauptung hat vor allem viel mit der Beschäftigung mit sich selbst zu tun. Wieso ist das notwendig? 

Wir sehen in der heutigen Zeit, dass es immer weniger Selbstliebe in dieser Welt gibt. Viele Menschen sind mit dem, was sie sind, nicht mehr zufrieden. Sie wollen sich verändern und finden teilweise wirklich drastische Wege, um das Bedürfnis nach Anerkennung zu stillen. Das Nebenprodukt vom Wunsch nach Selbstbehauptung ist auch mehr Selbstliebe. Das ist gut und wichtig. Grundsätzlich gilt, je mehr wir uns auch mit uns selbst beschäftigen, mit unseren Stärken, Talenten und Fähigkeiten sowie unseren Glaubenssätzen, desto dienlicher werden wir mit uns und der Welt umgehen.

„In der heutigen Zeit gibt
es immer weniger Selbstliebe in dieser Welt“

Die eigene Unversehrtheit zu bewahren ist für Kinder besonders schwierig, gerade in Zeiten, in denen Cybermobbing und ähnliche gefährliche Phänomene aus der digitalen Welt auf sie einwirken. Wie können sich Kinder gegen diese Angriffe psychisch wappnen bzw. wie können Eltern oder Lehrer den Kindern den richtigen Umgang damit vermitteln?

Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass Eltern ihre Kinder frühzeitig für den Umgang mit digitalen Medien stärken sollten. Hier geht es um Medienkompetenz. Viele Kinder werden mit diesem Thema allerdings alleingelassen, weil Eltern oder Erwachsene selber den Überblick über die technischen und medialen Möglichkeiten verloren haben. Wie etwa bei Social Media. Viele Erwachsene finden diese Dinge sogar falsch und beschäftigen sich daher wenig bis gar nicht damit. Wenn ich als Elternteil allerdings selbst nicht die Fähigkeiten habe, gewisse Dinge zu nutzen, so kann ich meine Kinder nicht in ihrer Medienkompetenz stärken. 

Ein weiterer Punkt ist „der sichere Hafen“ zu Hause. Ein sicherer Hafen, in dem die Kinder ohne viel Bewertung und unbewusstes Mobbing aufwachsen. Das mag hart klingen, doch leider herrschen in sehr vielen Familien selbst Mobbingstrukturen vor, ohne dass dies den Eltern überhaupt bewusst ist. (Bsp.: Ein Kind hat Gefühle, Wut, Angst o. Ä. und wenn wir dem Kind sagen: „So schlimm ist es nicht!“, ist das eine Abwertung seines Gefühls. Würde unser Chef uns gegenüber eine berufliche Herausforderung ähnlich kommentieren, empfänden wir das selbst sicherlich auch als unangenehm.) 

Als letzten Punkt möchte ich hier noch erwähnen, dass Kinder lernen dürfen, bei sich zu bleiben – Stichwort „Selbstliebe“ aus der ersten Frage. Je mehr ich mit mir im Reinen bin, je mehr ich mit mir zufrieden bin, desto weniger bin ich abhängig von den Worten anderer Menschen. Heißt also, wenn Kinder lernen, resilienter mit Worten, Beleidigungen und Verunglimpfungen oder Ähnlichem umzugehen, desto weniger sind sie angreifbar, auch von Cybermobbing oder klassischem Mobbing.

Lehrer gehören zu den Menschen, die sehr viel mit jungen Menschen arbeiten. Bei der gesamten Interaktion kann es auch immer wieder zu unbewussten seelischen Verletzungen kommen. Wie können Menschen, die sich hauptberuflich, privat oder ehrenamtlich mit Kindern oder Jugendlichen beschäftigen, solche Verletzungen präventiv vermeiden?

Hier stechen Sie wirklich ein bisschen in ein Wespennest, aber es ist genau richtig, dies so anzusprechen. Auch Menschen, die hauptberuflich, privat oder ehrenamtlich mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten, verletzten sie. Ähnlich wie in der Familie passiert dieses „unbewusste Mobbing“ wie im Wortlaut vollkommen unbewusst. Teilweise werden Sätze gesagt, die das Kind kränken können, teilweise wird das Kind bewertet, es wird verunglimpft. Hier ein Beispiel: Im Sportverein wird dem Kind gesagt: „Du wirst Abseits nie verstehen. Fehlt wohl noch ein bisschen zum guten Fußballer!“ Ein Satz, der vielleicht gar nicht böse gemeint ist und einfach so rausrutscht. Tatsächlich kenne ich ihn sogar so aus meiner eigenen Vergangenheit. So bin ich im Sportverein von Trainern konfrontiert worden. Damals hat es mir den Spaß am Fußball genommen. Das Wichtigste also, was wir an dieser Stelle sagen müssen, ist, dass sich auch die Fachwelt dessen bewusst und gewahr ist, dass sie teilweise unbewusste und verletzende Verhaltensmuster abruft. Denn auch wir Erwachsenen sind in unserer Kindheit mit solchen Verhaltensmustern konfrontiert gewesen, sie sind in uns angelegt und wir wiederholen sie unbewusst. So wie wir als Kind und Erwachsener verletzt wurden, verletzen wir jetzt unbewusst die Kinder und Jugendlichen. Der erste Schritt wäre, dass das unbewusste Verhalten ins Bewusstsein geholt wird, denn dann können wir anfangen, es zu verändern. Und allein dass diese Frage in diesem Interview gestellt wird, zeigt, dass wir hier auf einem immer besseren Weg hin zur Bewusstheit kommen, wirklich sorgsam und dienlich mit Kindern und Jugendlichen umzugehen.

„Das Wichtigste, was wir zu Hause tun können, ist, einen sicheren Hafen zu bieten“

Wie kann dazu beigetragen werden, dass Kinder zu starken Persönlichkeiten heranwachsen?

Das Wichtigste, was wir zu Hause tun können, ist, den bereits erwähnten sicheren Hafen zu bieten – ein Umfeld, in dem sich Kinder energetisch aufladen können, in dem sie Liebe und Achtsamkeit erleben. Denn wenn ich meine Batterien wieder aufladen kann, wenn ich zu Hause Menschen habe, die mich bedingungslos lieben, dann kann ich für mich annehmen, dass ich gut bin, so wie ich bin. Das ist so wichtig. Weiterhin sollten wir als Erwachsene Eigenschaften, die wir bei Erwachsenen als Stärke empfinden, den Kindern nicht unbewusst aberziehen. Ein Beispiel: Wir möchten z. B., dass sich unsere Kinder irgendwann, ob im Berufsleben oder in der Schule, durchsetzen können, dass sie sich selbst behaupten, wie in der ersten Frage. Wenn sie sich dann aber gegenüber den Eltern behaupten und sich durchsetzen, wird dies häufig als etwas Anstrengendes und Negatives interpretiert, als aufmüpfig oder dickköpfig. Das kann nicht funktionieren. Auch hier wäre ein erster Schritt wieder ein bewusstes Gewahrwerden dessen, dass wir als Erwachsene häufig Dinge tun, die dazu führen, dass Kinder in der Ausbildung einer starken Persönlichkeit ausgebremst werden. 

Und als letzten Hinweis noch dazu: Man kann natürlich auch mit Kindern trainieren, man kann mit ihnen gewisse Situationen immer wieder durchspielen, dass sie lernen, stärker mit Herausforderungen umzugehen. Denn dann können sie Fähigkeiten erwerben, die sie brauchen, um Probleme zu lösen, und sie können den Glauben an sich selbst aufbringen: Ich schaff das!

Als Mentalcoach geben Sie häufiger Trainings und Events, um Kinder, aber auch Eltern, mental zu stärken. Vor welchen Herausforderungen sehen sich die Menschen, die Ihre Kompetenz in Anspruch nehmen?

Viele Menschen, die in meine Trainings oder Seminare kommen, haben vor allem den Wunsch, präventiv aktiv zu werden. Sie sehen eine Problematik in unserer Gesellschaft und in der gesellschaftlichen Entwicklung: Ein großer Teil unserer Gesellschaft wird immer empathieloser, grenzüberschreitender und ein anderer Teil immer sensibler. Diese Mischung ist gefährlich, denn wenn der eine Teil immer grenzüberschreitender wird und der andere Teil die Grenzüberschreitungen psychisch wenig bis gar nicht aushält, dann haben wir ein toxisches Gemisch. Viele Menschen, die in meine Trainings oder Ausbildungen kommen, erkennen genau diesen Trend in der Gesellschaft und wollen hier aktiv etwas ändern. Natürlich haben wir auch Menschen in den Trainings oder Ausbildungen, die direkt Mobbingerfahrungen erleben und dort wieder rauswollen, der größte Teil sind aber Menschen, die präventive Maßnahmen ergreifen wollen und die einem gesellschaftlichen Wandel ein Stück weit entgegentreten wollen. Sie möchten einen Gegenpol bilden, der darauf abzielt, dass wir wieder achtsamer und resilienter miteinander umgehen können. 

Vielen Dank für das Interview!