»Eine Frage der Welle«
natürlich HAMM Herbst 2021 – Seite 4 – Lesezeit: ca. 10 Minuten
Rubrik: Titelthemen
Autor: Lukas Rummeny
Wieso wir Farben erkennen können
Nein, es geht nicht um einen Tag am Meer. Es geht auch nicht um Töne und Geräusche. Die Wellen, die hier vorkommen, sind wichtig für unsere Augen und sorgen dafür, dass wir Farben erkennen können. Was dabei in unserem Körper passiert und welche Auswirkungen Farben auf unsere Gesundheit haben, ist nicht zu verachten.
Was wird benötigt, damit wir Farben sehen können? Zunächst einmal Licht, denn ohne Licht kann das Auge nicht arbeiten. Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen, die auf unser Auge treffen. Wie in allen Bereichen der Natur sind die Wellen nicht gleich lang. Jede Wellenlänge nehmen wir als eine gewisse Farbe wahr. Das menschliche Auge nimmt Licht zwischen 380 und 750 Newtonmetern wahr. Welche Farbe wir tatsächlich sehen, bestimmen die Länge der Welle und die Lichtrezeptoren im Auge.
Farben entstehen also erst in der Wahrnehmung und existieren nicht in der Realität. Es kommt darauf an, auf welches Objekt das Licht fällt und welche Wellenlängen es reflektiert und welche es absorbiert. Die reflektierten Wellen nimmt das Auge auf und vermittelt dem Gehirn ein Spektrum an Farben. Am besten lässt sich dieses Phänomen an einem Prisma erkennen. Fällt ein Licht auf das Glas, separiert es die unterschiedlichen Wellenlängen und wir sehen die Farben, aus denen das Licht besteht.
Ebenso ist die Wirkung der Farben auf unsere Gesundheit nicht zu unterschätzen. So wird unsere Psyche von den Farben beeinflusst, mit denen wir uns umgeben. Was dabei genau passiert und welche Farbtöne uns guttun, erklärt Prof. Dr. Axel Buether im Interview.
Herr Buether, lassen Sie uns mit einer privaten Frage beginnen. Welche Farbe ist aktuell Ihre Lieblingsfarbe?
Rosa, vielmehr Altrosa. Wer Altrosa trägt, wirkt auf andere Menschen lockerer und offener. Mir als Professor hilft das sehr, da ich mit den Menschen arbeite und auf einer Ebene kommunizieren möchte, anstatt sie zu belehren. Es ist generell eine gute Farbe für Männer, die smarter und offener wirken möchten.
Wenn man einen Blick in die Kleiderschränke und Einrichtungen vieler Menschen wirft, sieht man vor allem Schwarz, Weiß und Grau. Was denken Sie über diese Farbauswahl?
Farben haben immer eine Wirkung. Sowohl auf uns als auch auf unsere Mitmenschen. Schwarz, Weiß und Grau bezeichnen wir als Unbuntfarben. Seit der Moderne sind diese Farben Zeichen von Wohlstand und Status. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren Farben teuer und daher auch ein Zeichen der Oberschicht. Seit die Pigmentherstellung günstiger geworden ist, hat sich die Bedeutung komplett geändert. Schwarz, Weiß und Grau gelten heute als chic. Das sehen Sie auch bei verschiedenen Produkten. So sind viele Autos, die zum Luxus- oder Obersegment gehören, meistens in diesen drei Farben vorhanden. Kleinwagen hingegen sind sehr bunt. Dasselbe gilt auch für Technik oder Möbel. Entfärbt ist teuer, bunt ist günstig. Allerdings dürfen wir es mit der Entfärbung nicht übertreiben.
Was meinen Sie damit?
Wenn wir unsere Räume nur in unbunten Farben gestalten, wirkt sich das negativ auf unsere Gesundheit aus. Darauf achten wir auch sehr, wenn wir Krankenhäuser in der Farbgestaltung beraten.
Wie sieht es mit der Gestaltung von Wohnzimmer und Schlafzimmer aus? Zwei Bereiche, die eher der Entspannung dienen?
Im Wohnzimmer braucht es eine wohnliche und entspannende Farbkombination. Sie soll Gefühle wie Wellness und Selfcare anregen. Sehr behaglich wirken Naturfarben an den Wänden, Holz- oder Naturtöne oder Lehm- und Sandtöne. Intensive Farben, wie leuchtende Grüntöne, Orange oder Sonnengelb, sollten nur als Akzente Verwendung finden, zum Beispiel bei der Einrichtung. Die frischen das Zimmer auf. Leuchtende Bunttöne sind in der Natur häufig Warnfarben. Für das Wohnen und Arbeiten sind sie zu unruhig. Als Pastellfarben wirken Grün-, Orange- oder Gelbtöne wiederum sehr gut. Es ist eine Frage der Balance. So haben wir bei der Farbberatung für eine Klinik verschiedene gelbe, orange und grüne Erdfarben verwendet. Diese Naturfarben beleben, beruhigen und wärmen die gesamte Atmosphäre im Raum fast wie ein sonniger Herbsttag.
Im Schlafzimmer sind dunkle Farben richtig, bei denen wir uns wohlfühlen und die wenig Licht reflektieren. Wer es kühl beim Schlafen mag, liegt mit vergrauten Blautönen richtig. Wer im Schlafzimmer hingegen kuschelige Wärme braucht und sich länger dort für Aktivitäten wie Lesen und Fernsehen aufhält, dem kann ich vergraute Violetttöne, denken Sie an abgeblühten Flieder, oder dunkle Beerentöne empfehlen.
Wichtig ist, dass wir Räume, die vorwiegend unserer Ruhe und Entspannung dienen, anders gestalten als unsere Arbeitsräume. Das Thema kam mit dem Anstieg des Homeoffice wieder auf. Wenn die Arbeitszimmer genauso gestaltet sind wie Wohn- oder Schlafzimmer, können wir nicht richtig abschalten, was den Stresslevel steigert und auch zum Burn-out führen kann.
Sie haben eben die farbliche Gestaltung von Krankenhäusern angesprochen. Sie selbst beraten auch Krankenhäuser. Welche Auswirkungen haben dort Farben auf die Menschen?
Dazu haben wir gemeinsam mit dem Helios-Universitätsklinikum Wuppertal das weltweit größte Projekt durchgeführt. Wir haben dort vier Intensivstationen umgestaltet und nach einem Jahr gefragt, welche Auswirkungen die neue Atmosphäre auf Patienten und Personal hat. Die Ergebnisse waren durchweg positiv. Alle haben sich wohlgefühlt. Der Medikamentenverbrauch ist in der Zeit um durchschnittlich 30 Prozent zurückgegangen und die krankheitsbedingten Ausfälle beim Personal um mehr als ein Drittel. Das sind großartige Zahlen. Gerade die Ärzte und Pfleger gaben an, jetzt lieber zur Arbeit zu kommen. Die farbliche Gestaltung wird als Wertschätzung vom Arbeitgeber verstanden.
Kommen wir zu einem anderen Bereich, in dem Farben eine wichtige Rolle spielen. Wie sieht es mit dem ersten Date aus? Welche Kleidung und welche Blumen empfehlen Sie?
Die Farben müssen zu mir passen. Ich muss mich bei der Farbwahl für das Date fragen: „Was will ich ausdrücken?“ Durch die Farben, die wir tragen, schließen die Menschen ebenso auf unseren Charakter und unser Milieu wie durch unsere Sprache oder unseren Gestus. Hier wirken bunte Farben offener und fröhlicher, während die eben erwähnten unbunten Farben Gesetztheit und Seriosität generieren.
Wenn etwa eine Frau Rot trägt, kann das schnell falsch verstanden werden. Es kann als Zeichen dafür verstanden werden, dass sie kein Interesse an einer festen Beziehung, sondern eher an einer Affäre hat. Sie sehen das auch in den sozialen Medien. Frauen, die ein Bild von sich in roter Kleidung posten, bekommen meistens entsprechend unseriöse Kommentare.
Blau wiederum wirkt vertrauensbildend, ehrlich und offen. Oft reicht schon ein einzelnes Kleidungsstück wie eine Jeans, die in Kombination mit einem weißen Hemd oder einer weißen Bluse leicht und modern wirkt. Farben passen zu uns, wenn sie authentisch wirken. Vorteilhaft wirkt sich aus, wenn sie unsere positiven Eigenschaften auf den ersten Blick vermitteln. Das gilt sowohl beim Date als auch beim Vorstellungsgespräch. Die Farben, die wir tragen, müssen zu unserem Charakter passen. Wir vermitteln damit, wer wir sind.
Ähnlich ist es mit den Blumen für das erste Date. Weiße Lilien wirken zu ernst, rote Rosen heben Sie sich besser für später auf. Ein bunter Strauß aus Sommerblumen drückt unsere positive Stimmung aus und wirkt dennoch unverfänglich.
Wir vermitteln also mit den Farben, die wir auswählen, sehr viel über unsere Persönlichkeit?
Auf jeden Fall. Evolutionsbedingt verbinden wir mit Farben unterschiedliche Charaktereigenschaften. Gut und Böse, Angst und Fröhlichkeit lassen sich durch Farben vermitteln. Das habe ich auch in Experimenten mit Schülerinnen und Schülern festgestellt, die ich gefragt habe, welche Farben sie für welche Eigenschaften verwenden. Die Antworten waren dabei fast immer dieselben.
Farben sind unser größtes Kommunikationsmittel und zu 99 Prozent benutzen wir es unbewusst. Im Gegensatz zur Sprache, bei der wir erst einmal die richtigen Worte finden und Sätze formulieren müssen. Uns können zwar mal die Worte fehlen, aber es ist unmöglich, nicht über Farben zu kommunizieren.
Wie sieht es bei Kinderzimmern oder Kitas aus? Häufig sind diese Räume bunt gestaltet.
Das liegt daran, dass wir eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit, in der sich jedes Individuum frei entfalten kann, sofort mit bunten Farben verbinden. Wenn wir eine erwachsene Person sehen, die bunte Farben trägt, assoziieren wir damit oft auch Jugend, Unbeschwertheit und Fröhlichkeit.
Wenn Kitas sehr bunt gestaltet sind, kann das auch negative Auswirkungen haben. Viele Kinder werden hierdurch stark angeregt, manche sogar hyperaktiv, sie können sich schlechter konzentrieren und verhalten sich lauter. Auch hier helfen helle Pastellfarben. Knallige Farben sollte es nur auf kleinen Flächen geben. Generell gilt aber bei Raumfarben, dass wir sie lange aushalten müssen, weswegen sie nicht zu unruhig sein dürfen.
Jetzt stehen mit Herbst und Winter wieder die dunklen Jahreszeiten vor der Tür. Viele Menschen sind dann eher bedrückt. Was raten Sie gegen den „grauen Blues“?
Es stimmt, dass sich Farben auf unseren Hormonhaushalt auswirken. Wenn die Umgebung grau und trist wirkt, wie regnerisches Herbstwetter, fühlen wir uns häufig müde und abgeschlagen. Gegen den niedrigen Spiegel an Serotonin, das uns aktiv macht und häufig auch als Glückshormon bezeichnet wird, helfen helle Lichtfarben, wie Weiß, Hellblau und Sonnengelb. Ich arbeite in der dunklen Jahreszeit mit einer sehr hellen Tageslichtleuchte, die mich vom morgendlichen Arbeitsbeginn bis zum späten Abend leistungsfähiger macht. Zudem helfen auch kühlere Farben. Ein kühles Blau an der Wand und warme Farbtöne, wie Sand oder Holz auf dem Boden. Dass sich diese Kombination positiv auf die Konzentration auswirkt, haben wir an Schülerinnen und Schülern im Unterricht festgestellt.
Zudem könnten Sie sich in der dunklen Jahreszeit auch optimistischer kleiden. Viele Menschen fühlen intuitiv, dass Schwarz und Grau besser zu düsteren Tagen passen. Das ist richtig, doch probieren Sie einfach einmal aus, wie gut man mit einer heiteren Buntfarbe gegen den Winterblues ankämpfen kann. Ihre zur Schau gestellte gute Laune steckt darüber hinaus häufig auch Menschen in Ihrer Umgebung an.
Wenn ich Sie richtig verstehe, können wir mit Farben unsere Gesundheit unterstützen?
Das ist richtig. Farben haben sehr viel mit unserem Wohlbefinden zu tun. Daher ist es sehr wichtig, dass wir bei der Gestaltung von Räumen und unserer Kleidung eine Atmosphäre schaffen, in der wir uns wohlfühlen können. Das gilt sowohl für den Arbeitsbereich als auch für die privaten Räume. Farben haben die Kraft, uns vor psychischen Erkrankungen zu schützen.
Kurzvita Prof. Dr. Axel Buether
Axel Buether ist der prominenteste Farbexperte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Seine Expertisen im Bereich Farbdesign werden von Industrie, Institutionen sowie privaten Auftraggebern herbeigeholt. Einem großen Publikum ist Buether als Interviewpartner, Studiogast und Bestseller-Autor für Sachbücher zum Thema Farbe bekannt.
Nach vielen Jahren als Restaurator und freier Steinmetz studierte Axel Buether in Berlin und London. Seine Promotion zum Thema „Semiotik des Anschauungsraums“ erfolgte an der Universität Stuttgart. Es folgten sechs Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Cottbus, bevor Buether 2006 die Professur „Farbe Licht Raum“ an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle antrat. Über weitere Stationen gelangte Buether an die Bergische Universität Wuppertal, wo er den Lehrstuhl für Didaktik der Visuellen Kommunikation innehat.
Seit 2007 sitzt Axel Buether dem Vorstand des „Deutschen Farbzentrums e. V. – Zentralinstitut
für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung“ vor. Er ist zudem Chefredakteur des Peer-Reviewed Open Journals Colour Turn, Mitglied im Scientific Peer Review Committee der International Colour Association und auch Gründer und Herausgeber der interdisziplinären Bildungsplattform colour.education.
Sein 2020 erschienenes Buch „Die geheimnisvolle Macht der Farben“ schaffte es auf die SPIEGEL-Bestsellerliste.