»Wenn Wertzeichen Medizingeschichte schreiben«
natürlich HAMM Winter 2021 – Seite 22
Rubrik: Aus Praxis & Region
Autor: Lukas Rummeny
Warum sich eine genaue Beobachtung von Briefmarken lohnt
Früher waren sie eine der wichtigsten Kommunikationsmittel, heute spielen sie nur noch eine Nebenrolle. Wenn wir Briefe oder Karten schreiben, dann meist zu besonderen Anlässen, wie jetzt in der Adventszeit. Wir schreiben Weihnachtsgrüße an Familie, Verwandte und Freunde, die wir an den Feiertagen nicht sehen können, denen wir aber eine besinnliche Zeit und alles Gute zum neuen Jahr wünschen. Schnell eine Briefmarke geholt, aufgetragen und ab in die Post. – Stopp, nicht so schnell! Was hat es eigentlich mit der Briefmarke auf sich und was sagt sie uns über die Entwicklung unseres Gesundheitsverständnisses? Wir haben nachgefragt bei der Arbeitsgemeinschaft für Medizin und Pharmazie in der Philatelie.
Zunächst ein kleiner Exkurs ins Altgriechische: „phílos“ ist „der Freund“; „atelēs“ bedeutet „lasten-/steuerfrei“. Diese Steuerfreiheit bezieht sich, postalisch, auf den Empfänger eines Briefes, da er kein Postwertzeichen kaufen musste, um die Botschaft zu bekommen. Entsprechend beschäftigt sich die „Philatelie“ mit der Briefmarke.
„Das ist nicht ganz richtig“, sagt Dr. Daniela Vogt Weisenhorn, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Medizin und Pharmazie in der Philatelie. „In der Philatelie beschäftigen wir uns mit allen Dokumenten und Briefen, die über die Post versendet worden sind.“ Die erste Briefmarke gab es aber erst im Jahr 1840. Gerade wer sich mit medizinischen Themen in der Philatelie beschäftigt, muss auch in die Jahrhunderte zuvor schauen. Das gilt etwa für die sog. „Seuchen- bzw. Cholerabriefe“. „Es wird dabei auch von der ‚Desinfektionspost’ gesprochen“, sagt sie. „Briefe, die aus Regionen kamen, in denen Seuchen und die Pest herrschten, wurden nach dem Grenzübertritt in speziellen Einrichtungen ‚desinfiziert.’ Dabei wurden die Briefe in Essig getaucht und geräuchert.“
Die erste Briefmarke mit einem medizinischen Thema stammt aus dem Jahr 1861. Sie stammte von der Insel Nevis, die damals unter britischer Kolonialherrschaft stand, und zeigte zwei Insulaner an einer Heilquelle. Im selben Jahr wurde in den USA auch eine Briefmarke mit einer Abbildung mit dem Schriftzug von John Leonard Riddell veröffentlicht. Der Chemie-Professor forschte an Gelbfieber und anderen Infektionskrankheiten – und war auch als Postmeister tätig.
Boom der medizinischen Themen auf Briefmarken
Den ersten Boom erlebte die Philatelie zu Beginn der 1930er-Jahre, wie Dr. Daniela Vogt Weisenhorn erläutert. „Es begann alles mit der Ehrung von verdienten Ärzten. Später auch, wenn eine bahnbrechende medizinische Entdeckung ein Jubiläum feierte.“ Die eigentlichen medizinischen Themen, wie Aufklärung bezüglich gefährlicher Krankheiten und wichtige Vorsorgeuntersuchungen, bekamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg mehr Raum auf den Briefmarken.
„Vorrangig handelte es sich dabei um Krankheiten, die eine globale Gefahr für Menschen und Gesundheitssysteme darstellten“, sagt die Vorsitzende. Historische Beispiele für die Medizinphilatelie sind Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria, Polio oder HIV/Aids. „Die Marken und Stempel sollten aber nicht nur auf die Krankheiten aufmerksam machen, sondern auch das richtige Verhalten vermitteln. Das gilt etwa für die Nutzung von Kondomen, um das Aidsvirus einzudämmen, oder des richtigen Lebensstils, um Diabetes vorzubeugen.“
Gesellschaftliche Relevanz bestimmen die Themen in der Philatelie
Da das große Aufkommen von medizinischen Themen auf Briefmarken bereits rund 80 Jahre zurückliegt, ist auch innerhalb der Thematik eine Entwicklung zu erkennen. „Briefmarken bilden immer das Thema ab, das eine Gesellschaft besonders stark beschäftigt“, hält Dr. Daniela Vogt Weisenhorn fest. „So ist das Thema Aids im Zeitraum von 1988 bis 2010 weltweit sehr häufig u. a. zum Welt-Aids-Tag abgebildet worden. Im Jahr 2020 hat nur noch Italien eine entsprechende Marke veröffentlicht“, hält die Expertin fest.
In den letzten Jahren ist die gestiegene gesellschaftliche Relevanz der Bekämpfung von Suchterkrankungen auf den Briefmarken zu erkennen. Dr. Vogt Weisenhorn nennt beispielhaft das Rauchen. „Aufgrund der bekannt gewordenen gesundheitsschädlichen Wirkungen des Rauchens findet man in vielen Ländern – im Gegensatz zu früher – viele Marken, die das Rauchen ächten und seine gesundheitsschädliche Wirkung auf die Lunge darstellen – teils sogar recht drastisch“, hält siefest.
Corona sorgte für vielfältige Briefmarkenmotive
Wie ist es eigentlich in der aktuellen Pandemie? Das Coronavirus ist ein global grassierender Krankheitserreger. Zudem sorgen die Schutzmaßnahmen dafür, dass man geliebte Menschen nicht treffen kann. Wer sich dann hinsetzt und diesen Menschen einen Brief schreibt, zeigt ihnen die höchste Wertschätzung – gerade in Zeiten von E-Mails und Chats. „Wir verzeichnen bislang über 700 philatelistische Belege weltweit zum Thema Corona“, sagt die Expertin. „Dabei geht es sowohl um das Virus selbst als auch um Schutzmaßnahmen, wie, ganz aktuell, die Impfungen.“ Besonders die humorvolle Art aus Österreich falle dabei auf. So wurde 2020 in Österreich eine Briefmarke aus Klopapier herausgegeben, auf der ein Babyelefant den notwendigen Abstand darstellt. Im September 2021 gab es eine kleine FFP2-Maske aus echtem Material als Marke. „Ebenso werden nun auch vielfach Pfleger und Pflegerinnen auf Briefmarken für ihren Einsatz geehrt“, hält Dr. Vogt Weisenhorn fest. Briefmarkensammeln ist gesund, ist sich Dr. Daniela Vogt Weisenhorn sicher. „Das Sammeln an sich, und somit auch Briefmarkensammeln, schüttet nachweislich Endorphine aus. Diese stärken unser Immunsystem. Aber auch unsere kognitiven Fähigkeiten werden speziell beim Briefmarkensammeln trainiert.
Wer sich intensiver mit der Philatelie beschäftigen möchte, der kann Kontakt zu den Hammer Briefmarkenfreunden aufnehmen. Seit über 100 Jahren hilft der Verein beim Einstieg in die Philatelie. Jeden 1. und 3. Sonntag im Monat treffen sich Vereinsmitglieder und Interessierte im HSV-Casino an der Evora-Arena, zwischen 10 und 13 Uhr. Weitere Informationen finden Sie unter hammer-briefmarkenfreunde.info oder für spezielle medizinphilatelistische Themen gibt es auch Informationen auf der Website medizinphilatelie.com.